Improvisation oder vom perfekt Eingeübten „Ja, aber…“ zum Improvisierten „Ja, und…“!
Deutschland und die Schweiz nehmen sich nicht viel in Sachen „Anspruch auf Perfektion“. Und diese Perfektion wird repräsentiert durch die Label „Made in Germany“ und „Made in Switzerland“, welche weltweit seit Jahren für Qualität und eben diese Perfektion stehen. Damit wurde und wird in diesen Ländern gut Geld verdient. Um diese Qualität professionell zu erzeugen, braucht es u.a. eine tief verwurzelte „Ja, aber… – Mentalität, denn diese treibt uns an, es noch besser, noch schneller, noch schöner, noch perfekter zu machen. „Ja, ist ganz gut, aber das geht bestimmt noch besser…!“ So weit, so gut.
Und weil wir auch den Satz kennen: „gut Ding, will Weile haben…“, laufen wir in der heutigen Zeit und vor allem in der sogenannten VUKA Welt Gefahr ins Hintertreffen zu geraten. Denn Zeit und iteratives, planvolles Vorgehen mit vielen Schleifen hin zur Perfektion kann in disruptiven Märkten und Zeiten schnell zum wirtschaftliches Aus führen, denn man ist schlicht zu spät dran und hat einen Trend verschlafen.
Was ist also die neue Tugend, die wir wieder kultivieren sollten: die Improvisation! Die Fähigkeit also mit unvorhergesehenen Situationen gut umzugehen, sie anzunehmen und etwas daraus zu machen. Die Improvisation nicht als quasi „Notlösung“ in einer unvorbereiteten Situation zu sehen, sondern als wirkliche Fähigkeit in einem professionellen Sinn.
Die Welt ist volatil, ungewiss, komplex und ambiguide (eben VUKA)…und diese Zeit erfordert eine Menge Improvisation. Denn die nächste disruptive Idee lauert schon hinter der nächsten Ecke. Der innere Satz bzw. das Mantra, der/das bei der Improvisation wichtig wird (kommt aus dem Improvisationstheater) lautet: „Ja genau, und …“.
Es klingt erstmal banal, jedoch steht eine Haltung dahinter. Es geht darum, mit der Überraschung, mit dem Unvorhergesehenen nicht in den Widerstand zu gehen (also ein innerliches NEIN dagegen zu setzen) oder es automatisch „toppen“ zu wollen (sich also Druck machen … etwas aus dem trotzigen Kind heraus). Sondern erstmal in eine annehmende Haltung – einem inneren JA – zu gehen. Es als Einladung zur „Störung“, zur Unterbrechung anzunehmen, „aha, spannend …“. Die neu entstandene Situation sozusagen als Einladung verstehen, eine kurze innere Denkpause einzulegen und dann mit Neugierde etwas aus diesem Unvorhergesehenen zu machen. Und hier kommt das UND ins Spiel. Dieses „etwas daraus machen“ kommt dann aus dem Ungeplanten, der Spontanität, der Intuition, aus der Kreativität. Eine Regel oder Gebot beim Improvisationstheater ist es, dass der Prozess im Fluss bleiben muss und beim „Ja, und…“ geht es somit auch darum, die Energie des Unvorhergesehenen, der Überraschung weiterzuführen und was dazu zu fügen, es im Fluss zuhalten. UND deshalb… UND somit … UND weil ….
Vom perfekt Eingeübten, „Ja, aber…“, zum Improvisierten „Ja, und…“!
Dies ist natürlich jenseits der Planung und verlangt uns – die wir so gerne planen, Dinge im Griff und unter Kontrolle haben – einiges ab. Aber die Wirtschaft in Deutschland und der Schweiz brauchen mehr professionelle Improvisation. Denn aus dieser „Ja, und –Haltung“ entsteht Innovation und in einem Prozess von Co-creation im Team entsteht dies auch noch schneller. Und um Zeit geht es, wie wir alle heute wissen.
Müssen wir dies neu erlernen? Ich glaube nicht. Der Mensch kann improvisieren, jedoch sind diese Fähigkeiten durch die beschriebenen deutschen und schweizerischen Tugenden der Perfektion und Planung in Vergessenheit geraten bzw. uns abtrainiert worden.

Holen wir sie wieder heraus, die Fähigkeit zur professionellen Improvisation, und integrieren wir sie im Sinne des „sowohl als auch“ in unseren Arbeitsalltag. Wir dürfen unseren Anspruch auf Qualität und Perfektion weiterhin pflegen, wenn die Situation überschaubar und planbar ist. Addieren wir die Erlaubnis zur professionellen Improvisation und sichern wir uns damit das wirtschaftliche Überleben in der VUKA Welt!
2 Kommentare
Hallo Frau Thomas,
in der Mehrzahl der von Ihnen getroffenen Aussagen bin ich ganz bei Ihnen, allerdings relativiert sich für mich eine Ihrer Homepage-Headlines „Erfolg ist menschlich“. Anbetracht der aktuellen Automatisierungwelle darf/muß(?) zumindest hinterfagt werden, inwieweit der Aspekt des menschlichen, da unstrittig fehleranfällig(er), von AI / KI Technologie zuzunehmend beschnitten wird. Die Rechtsdienstleistungsbranche, in weiten Teilen „old fashion style“ und bisher als nahezu 4.0-resistent erachtet, sieht sich bereits jetzt mit der rasant voranschreitenden Entwicklung im Bereich Künstlicher Intelligenz konfrontiert. Insbesondere – und da stimme ich Ihnen ebenfalls zu – auch in der Anwaltschaft fehlen oft der Mut und die Kompetenz in Richtung Erneuerung zu denken und zu gestalten. Erschwerend kommt hinzu, da in einigen Rechtsgebieten, exemplarisch sei hier das Verkehrsrecht benannt, bis zu 90 Prozent der anfallenden Tätigkeiten und Abläufe automatisierbar sind steht die „4.0“ unstrittig für massiven Personal(Human)abbau, zunächst zuarbeitende Positionen z.b. Rechtsanwalts-Fachangestellten /innen, in absehbarer Zeit aber auch Anwälte /innen betreffend. Letzteres ist in anbetracht der extrem gestiegenen Zahl der in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte /innen auf mittlerweile rund 180.000 ! unabdingbar. So sind signifikant zunehmende Existenzängste sind in der Rechtsdiensleistungsbranche allgegenwärtig.
Ein Paradigmenwechsel kaum vorstellbaren Ausmasses, nicht nur die Arbeitswelt betreffend, gewinnt rasant an Fahrt. So ist eine „echte“ KI-Anwendung mit der Bezeichnung ROSS der erste digitale Anwalt, der nur aus Chipsätzen und Schaltkreisen besteht.
Die renommierte US-Kanzlei https://www.bakerlaw.com/ hat „ihn“(warum nicht sie, oder neutral es ? ) nun eingestellt, damit „es“ bei rechtlichen Fragen weiterhilft.
Was ES ist?: IBM’s AI Ross is the world’s first artificially intelligent lawyer, http://www.rossintelligence.com
In May of this year, Baker &Hostetler became the first BigLaw firm to engage ROSS, an “A.I. lawyer that helps lawyers research faster and focus on clients. Ross Intelligence points a milestone to handle their bankruptcy practice, which at the moment consists of nearly 50 lawyers.“
So soon they will be naturally cutting 50 human beings for an A.I. Built on IBM’s Watson technology, ROSS uses natural language processing and machine learning to more intelligently, quickly, and efficiently process the massive document loads of today’s legal work – major litigation, in particular.
It took about ten months for ROSS to learn bankruptcy law before it commercially rolled out. Now ROSS Intelligence is building more legal practice modules into the ROSS system beyond bankruptcy.
Quelle: Forbes.com
Für mich ist es nur eine Zeitfrage, wann die bisher genutzen, qualitativ hochwertigen, menschlichen Talente (von der menschlichen Intuition einmal abgesehen) die derzeit oftmals den mit-entscheidenden Ausschlag zu einem Vorgang geben, implementiert und genutzt werden. Führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, kristallisiert sich dieses Szenario, welches zumindest in den Indutriestaaten wahrscheinlich wird, wie folgt heraus: „Immer mehr Menschen bei zunehmend weniger zu verteilender Humanarbeit zur erforderlichen Existenzsicherung“ Und die daraus abzuleitende Schlußfolgerung? Nun, diese überlasse ich den kreativen Fähigkeiten von Ihnen und Ihrem Team, liebe Frau Thomas
Das ist ja mal ein informativer, sorgfältig mit Liebe zum Detail geschriebener Artikel. Vielen Dank! 🙂